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Leider geht für viele Paare der Wunsch nach einem eigenen Kind nicht auf natürliche Weise in Erfüllung. Mittlerweile gibt es jedoch die Möglichkeit der künstlichen Befruchtung. In dieser Zeit sind die Nerven ohnehin schon angespannt – noch schlimmer wird es allerdings, wenn der Chef der Frau deswegen das Arbeitsverhältnis plötzlich kündigt. Darf er das?
Angestellte informiert Chef über Kinderwunsch
Eine Frau und ihr Partner wollten seit Jahren ein Kind. Da es bisher auf natürliche Weise nicht geklappt hatte, entschied sich das Paar für eine sog. In-vitro-Fertilisation – zunächst ebenfalls erfolglos. Das Pärchen wollte es daher noch einmal versuchen, worüber die Frau ihren Chef informierte. Kurz darauf erfolgte die künstliche Befruchtung der Eizellen sowie der Embryonentransfer – der Beschäftigten wurden die Embryonen also in die Gebärmutter eingesetzt.
Eine Woche später wurde jedoch ihr Arbeitsverhältnis ohne behördliche Zustimmung – vgl. § 9 III MuSchG (Mutterschutzgesetz) – und ohne anderweitige vorangegangene Zwischenfälle, die etwa zu einer Abmahnung geführt hätten, gekündigt. Die frei gewordene Stelle besetzte ihr Chef mit einer älteren Mitarbeiterin. Nachdem erneut eine Woche vergangen war, erfuhr die Frau von ihrer Schwangerschaft, die sie anschließend auch ihrem Chef bekannt gab. Ferner ging sie gerichtlich gegen die Kündigung vor.
Ab wann gilt der besondere Kündigungsschutz?
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hielt die Kündigung für unwirksam, da die Schwangere bereits zum Zeitpunkt des Embryotransfers den besonderen Kündigungsschutz nach § 9 I MuSchG genoss.
Eine Schwangere darf grundsätzlich nicht gekündigt werden – schließlich kann sich eine Entlassung schädlich auf die physische und psychische Verfassung der Frau auswirken. Ferner wollte der Gesetzgeber mit dem besonderen Kündigungsschutz verhindern, dass Schwangere sich aus Angst vor dem Arbeitsplatzverlust und vor Existenznöten zur Abtreibung entscheiden, obwohl sie ihr Baby eigentlich zur Welt bringen möchten.
Doch ab wann gilt eine Frau als schwanger? Denn erst ab Beginn der Schwangerschaft gilt der besondere Kündigungsschutz. Während die Frage bei einer normalen Empfängnis nicht schwer zu beantworten ist, wird es bei der künstlichen Befruchtung etwas schwieriger. Ist bereits der Zeitpunkt der Befruchtung der Eizellen außerhalb des Körpers der Frau maßgeblich, der Moment des Embryotransfers oder erst die Einnistung der Embryos im Körper der Frau?
Bereits 2008 hat der EuGH (Europäischer Gerichtshof) festgestellt, dass allein der Zeitpunkt der künstlichen Befruchtung nicht zur Schwangerschaft und damit zu einem besonderen Kündigungsschutz führt. Ansonsten könnten sich auch Frauen, die sich die befruchteten Eizellen möglicherweise erst nach Jahren – oder gar nicht – einsetzen lassen, für einige Jahre auf den besonderen Kündigungsschutz berufen, obwohl sie gar kein Kind bekommen (haben). Da ferner der frühestmögliche Zeitpunkt einer Schwangerschaft den besonderen Kündigungsschutz auslöst, darf auch nicht willkürlich auf den Moment der Einnistung des Embryos abgestellt werden (EuGH, Urteil v. 26.02.2008, Az.: C-506/06).
Nach Ansicht des BAG war vielmehr der Zeitpunkt des Embryonentransfers maßgeblich – die Frau ist vorliegend somit bereits eine Woche vor der Kündigung schwanger geworden und konnte sich gemäß § 9 I Hs. 1 MuSchG auf den besonderen Kündigungsschutz berufen.
Diskriminierung wegen des Geschlechts
Ferner bejahte das BAG eine unmittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts, vgl. § 7 I i. V. m. §§ 1, 3 AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz). Schließlich können nur Frauen schwanger und daraufhin wegen ihrer Schwangerschaft gekündigt werden. Gleiches gilt – worauf bereits der EuGH hinwies – auch im Rahmen einer In-vitro-Fertilisation: Erfährt der Chef vom Kinderwunsch seiner Mitarbeiterin und der geplanten künstlichen Befruchtung, ist davon auszugehen, dass die danach erklärte Kündigung der Angestellten wegen ihrer möglichen Schwangerschaft erfolgte.
Vorliegend gab es vor der Kündigung keine Zwischenfälle, die dem Chef einen Kündigungsgrund geliefert hätten. Auch ist die Beschäftigte zuvor nicht abgemahnt worden. Im Übrigen sprachen sowohl der zeitliche Zusammenhang zwischen der Mitteilung über die geplante In-vitro-Fertilisation und der Kündigung als auch die Einstellung einer älteren Mitarbeiterin dafür, dass der Chef keine Schwangere beschäftigen wollte.
(BAG, Urteil v. 26.03.2015, Az.: 2 AZR 327/14)
Sandro Wulf
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht

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