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Ich schreibe diesen Artikel am 31.01.2021 am Ende eines schneereichen Wochenendes. Die Straßen sind glatt und es schneit. Was die Kinder freut, bereitet dem Mitarbeiter/in Probleme, wenn er bzw. sie nicht zur Arbeit kommt.

Denkbar sind der Ausfall der öffentlichen Verkehrsmittel, kilometerlange Staus wegen nicht beräumter oder auch überfluteter Straßen, wie zur Zeit in Süddeutschland festzustellen. Hier gibt es eine Vielzahl von Fällen, die zu jeder Jahreszeit ein Grund sein könnten. Deshalb stellt sich für die Parteien des Arbeitsverhältnisses regelmäßig die Frage, wer wann welches Risiko zu tragen hat.

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Ich möchte dies an 2 Beispielen erörtern, die Gegenstand von Klagen geworden sind und im Ergebnis vom Bundesarbeitsgericht entschieden werden mussten. Die Fälle sind zwar schon sehr alt aber der rechtliche Gedanke und die sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen gelten noch heute.

Was war im ersten Fall passiert?

Am 23. Januar 1979 hatte der Kläger Frühschicht. Wie üblich begab er sich an die Bushaltestelle. Er konnte jedoch nicht zur Schachtanlage befördert werden, weil die im Werksverkehr eingesetzten Busse wegen eingetretenen Glatteises nicht fahren konnten. Auch Taxen und die im öffentlichen Linienverkehr eingesetzten Busse konnten an diesem Morgen wegen des Glatteises nicht verkehren. Nachdem der Kläger zweimal bei der Schachtanlage angerufen hatte und ihm mitgeteilt worden war, dass die Busse nicht fahren könnten, begab er sich wieder nach Hause.

Die ausgefallene Schicht konnte er nicht nacharbeiten. Sie wurde ihm auch nicht vergütet.

Mit der Klage hat der Arbeitnehmer seine Arbeitgeberin auf Bezahlung der Frühschicht in Anspruch genommen. Er hat vorgetragen, die Beklagte sei ihm zur vollen Lohnzahlung verpflichtet.

Die Arbeitgeberin hat Klageabweisung beantragt und erwidert, für das Begehren des Mitarbeiters gebe es keine Rechtsgrundlage.

Nach den heranzuziehenden tariflichen Bestimmungen sei Lohn nur für geleistete Arbeit zu zahlen. Nur soweit gesetzliche oder tarifliche Bestimmungen dies vorsähen, solle danach etwas anderes gelten. Für Fälle wie den vorliegenden sähen die tariflichen Bestimmungen jedoch keine Entgeltzahlungspflicht des Arbeitgebers vor. Die Schicht des Klägers am 23. Januar 1979 sei aus Gründen ausgefallen, die er nicht zu vertreten habe. Er sei auch nicht in Annahmeverzug gekommen, denn der Kläger habe seine Arbeit überhaupt nicht arbeitsvertragsgemäß anbieten können. Daran ändere nicht, dass der Kläger die Möglichkeit gehabt habe, den den Arbeitnehmern angebotenen Werksverkehr zu benutzen. Die damit verbundenen Risiken habe nicht er, sondern der Busunternehmer zu tragen. Dies sei den Arbeitnehmern auch mitgeteilt worden. Der Kläger hat sich zur Begründung der Klage in erster Linie auf § 616 Abs. 1 BGB berufen.

Darin ist Folgendes geregelt:
„Vorübergehende Verhinderung
Der zur Dienstleistung Verpflichtete wird des Anspruchs auf die Vergütung nicht dadurch verlustig, dass er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird. Er muss sich jedoch den Betrag anrechnen lassen, welcher ihm für die Zeit der Verhinderung aus einer auf Grund gesetzlicher Verpflichtung bestehenden Kranken- oder Unfallversicherung zukommt.“

Hat der Mitarbeiter nun einen Anspruch auf sein Arbeitsentgelt? Was meinst du?

Bevor ich die Frage beantworte, will ich dir noch den zweiten Fall darstellen, da beide Fälle im Ergebnis zum gleichen Schluss kommen.

Zusammengefasst war Folgendes Geschehen:

Die Beklagte betrieb eine Maschinenfabrik mit etwa 540 Arbeitnehmern, von denen etwa 60 mit zwei werkseigenen Bussen kostenlos zur Arbeit geholt und wieder zurückgebracht werden. Zu diesen gehört auch der Kläger. Er wohnt etwa sieben Kilometer von der nächsten Haltestelle des Werksbusses entfernt und fährt dorthin regelmäßig mit seinem eigenen Pkw.  Am Mittwoch, dem 14. Februar 1979 hatte der Kläger Urlaub. Gegen Abend dieses Tages setzten sehr starke Schneefälle ein, die dazu führten, dass der Kläger am Morgen des 15. Februar 1979 wegen Schneeverwehungen die Bushaltestelle nicht mit seinem Pkw erreichen konnte.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte müsse seinen witterungsbedingten Arbeitsausfall vom 15. Februar 1979 von insgesamt acht Stunden in vollem Umfang sowie die witterungsbedingten Verspätungen vom 19. und 20. Februar 1979 vergüten. Auch hier stützte sich seine Argumentation auf § 616 BGB Nach § 616 Abs. 1 BGB verliert der Arbeitnehmer den Vergütungsanspruch nicht deshalb, weil er ohne sein Verschulden eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund an der Dienstleistung verhindert wird.

Für die meisten erschließt sich aus dem Gesetz nicht, wann wer verpflichtet ist. Deswegen will ich das etwas auseinandernehmen.

Der Grund für die Arbeitsverhinderung muss danach in der Person des Arbeitnehmers liegen, wenn der Lohnanspruch erhalten bleiben soll. Zwar ist nicht erforderlich, dass die Ursache der Arbeitsverhinderung gerade in den persönlichen Eigenschaften des Arbeitnehmers zu finden ist; es genügt vielmehr, wenn er wegen seiner persönlichen Verhältnisse die Arbeitspflicht nicht erfüllen kann.

Dies ist anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer aus einem in seinen Lebensumständen liegenden Grund zur Arbeit außerstande, d. h. die Arbeitsleistung ihm tatsächlich unmöglich ist. Dem stehen Fälle gleich, in denen ihm die Dienstleistung nicht zumutbar ist (BAG 9, 179, 182 = AP Nr. 23 zu § 616 BGB; BAG 30, 240, 244 f. = AP Nr. 48 zu § 616 BGB, zu II 1 a und b der Gründe).

Die Verhinderungsgründe müssen sich danach gerade auf denjenigen Arbeitnehmer beziehen, der Lohnfortzahlung verlangt, nicht auf einen größeren Kreis von Arbeitnehmern. Damit scheiden für die Anwendung des § 616 Abs. 1 BGB alle die Fälle aus, in denen die Arbeitsleistung wegen objektiver Hindernisse nicht erbracht werden kann. Diese liegen vor, wenn die Arbeitsleistung wegen Ereignissen nicht möglich ist, die weder in der Person des Arbeitnehmers noch der des Arbeitgebers ihre Grundlage haben.

Dieser Grundsatz gilt allerdings nicht uneingeschränkt. Vielmehr ist § 616 Abs. 1 BGB ausnahmsweise auch bei einem objektiven Leistungshindernis anzuwenden, wenn das Hindernis nur einen oder einzelne Arbeitnehmer wegen ihrer besonderen persönlichen Verhältnisse in der Weise betrifft, dass es gerade auf den körperlichen oder seelischen Zustand des einzelnen Arbeitnehmers zurückwirkt oder der einzelne Arbeitnehmer von einer Naturkatastrophe betroffen wird und ihm die Arbeitsleistung deshalb vorübergehend nicht zuzumuten ist, weil er erst seine eigenen Angelegenheiten ordnen muss.

Diese gesetzliche Bestimmung hat dispositiven Charakter. Sie kann also abbedungen, vertraglich ausgeschlossen werden. Ihre Geltung kann demgemäß arbeitsvertraglich oder/und
tarifvertraglich abbedungen und modifiziert werden.

Von dieser Möglichkeit haben hier die Tarifvertragsparteien vorliegend Gebrauch gemacht.

Die gleiche Empfehlung gebe ich Arbeitgebern, wenn ich diese bei der Gestaltung von Arbeitsverträgen unterstütze. Umgekehrt empfehle ich Mitarbeitern in der Beratung darauf zu achten, dass der § 616 BGB und seine Geltung vereinbart wird.

Kommen wir zur Auflösung:

Lohnanspruch besteht grundsätzlich nur für geleistete Arbeit. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind verpflichtet, Ausfälle an Arbeitszeit im Rahmen des Möglichen zu vermeiden und für den geordneten Ablauf der Arbeitsvorgänge Sorge zu tragen.“

Die Arbeitsgerichte sind davon auszugehen, dass der vorliegende Fall ohnehin von der gesetzlichen Regelung des § 616 Abs. 1 BGB nicht erfasst wird. Zwar hat der Kläger im Sinne dieser Gesetzesnorm nur eine „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ und unverschuldet die Arbeit versäumt.

Mit Recht wird jedoch angenommen, dass es vorliegend an einem in der Person des Arbeitnehmers, d.h. des Klägers liegenden Verhinderungsgrund fehlt.

Zwar ist insoweit nach dem Sinn und Zweck der Gesetzesnorm eine extensive Auslegung geboten und üblich. Danach muss der Hinderungsgrund nicht unmittelbar in der Person des Arbeitnehmers liegen und braucht ihm die Arbeitsleistung nicht unmöglich zu sein. Vielmehr ist es danach ausreichend, wenn der Hinderungsgrund der persönlichen Sphäre des Arbeitnehmers zuzuordnen und ihm im Hinblick darauf die Arbeitsleistung nicht zuzumuten ist. Dies gilt etwa für Todesfälle in der Verwandtschaft, Erkrankungen von Familienangehörigen, sonstige familiäre Ereignisse, aber auch bei Vorladungen des Arbeitnehmers vor ein Gericht oder eine Behörde sowie (insoweit nicht unbestritten) seine Inanspruchnahme durch öffentliche Ehrenämter.

Hiervon streng zu unterscheiden sind jedoch solche Fallgestaltungen, in denen die Ursache des Leistungshindernisses weder in der privaten Sphäre des Arbeitnehmers noch im betrieblichen Bereich und damit innerhalb der Einflussmöglichkeiten des Arbeitgebers liegt. Dies trifft etwa bei allgemeinen Verkehrssperren, den Verkehrsfluss behindernden Demonstrationen, dem Ausfall öffentlicher Verkehrsmittel und im Übrigen bei Naturereignissen wie Hochwasser, Schneeverwehungen und Eisglätte zu. Ist aus solchen Gründen der Arbeitnehmer daran gehindert, seinen Arbeitsplatz zu erreichen, dann handelt es sich um ein „objektives Leistungshindernis„, bei dem die Leistungspflicht des Arbeitgebers aus dem rechtlichen Gesichtspunkt des § 616 Abs. 1 BGB entfällt.

Dafür spricht nicht nur der Gesetzeswortlaut, sondern auch der Sinn und Zweck der gesetzlichen Vorschrift, nach der es dem Arbeitgeber nicht zugemutet werden kann, die Folgen objektiver Leistungshindernisse, auf die er keinen Einfluss hat und die in der Regel unvorhersehbar eintreten, auf sich zu nehmen. Dabei kommt erschwerend hinzu, dass derartige objektive Leistungshindernisse nicht selten große Teile der Belegschaft oder sogar
diese insgesamt betreffen. Das zeigt auch der vorliegende Fall, denn unstreitig konnten wegen des eingetretenen Glatteises ein Viertel der Arbeitnehmer der Beklagten auf der Schachtanlage G am 23. Januar 1979 die Arbeit nicht antreten.

Alleinige Ursache dafür, dass er seinen Arbeitsplatz nicht erreichte, war nämlich die an diesem Tage bestehende Eisglätte bzw. in dem anderen Fall in München der Schneefall und
damit ein unabwendbares Naturereignis, dessen voraussehbare Folgen weder der Kläger noch die Beklagte zu vertreten hatten.

Dabei kommt es entscheidend auf den Erfüllungsort für die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers an (§ 269 BGB), d.h. darauf, wo er seine Arbeitsleistung zu erbringen hat.

Somit kann zusammengefasst werden, dass grundsätzlich das Wegerisiko zur Arbeitsstelle sprich zum vertraglichen Arbeitsort den Arbeitnehmer trifft.

Ist es dem Mitarbeiter nicht möglich die Arbeit aufzunehmen aufgrund ebensolcher Umstände, hat er keinen Anspruch auf sein Arbeitsentgelt. Die Konsequenz geht sogar noch ein Stück weiter. Ist für den Mitarbeiter vorhersehbar, dass er z.B. witterungsbedingt nicht rechtzeitig auf der Arbeit sein kann, wenn er nicht besondere Vorkehrungen trifft, kann dies ein Grund für eine Abmahnung sein. Im Wiederholungsfall könnte dies sogar zu einer Kündigung durch den Arbeitgeber führen. Dies jedoch nur insoweit, wie dem Mitarbeiter zu vertretende Möglichkeiten gegeben waren rechtzeitig zur Arbeit zu erscheinen. War ihm, wie auch jedem anderen Arbeitnehmer in einem solchen vergleichbaren Fall bei objektiver Betrachtung, Sorgfalt nicht möglich, rechtzeitig bzw. überhaupt den Arbeitsort zu erreichen, dürfte weder eine Abmahnung noch eine Kündigung
berechtigt sein.

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Sandro Wulf
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht

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