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Es ist Sache des Arbeitgebers, die Initiative zur Durchführung eines gesetzlich gebotenen betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) zu ergreifen. Dazu gehört, dass er den Arbeitnehmer auf die Ziele des BEM sowie die Art und den Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinweist. Hat der Arbeitgeber die gebotene Initiative nicht ergriffen, muss er zur Darlegung der Verhältnismäßigkeit eine auf krankheitsbedingte Fehlzeiten gestützte Kündigung nicht nur die objektive Nutzlosigkeit arbeitsplatzbezogener Maßnahmen i.S.v. § 1 II 2 KSchG aufzeigen. Er muss vielmehr auch dartun, dass künftige Fehlzeiten ebenso wenig durch gesetzlich vorgesehene Hilfen oder Leistungen der Rehabilitationsträger in relevantem Umfang hätten vermieden werden können. (amtl. Leitsatz)
BAG, Urteil vom 20.11.2014 – 2 AZR 755/13 (LAG Hessen), BeckRS 2015, 67504
Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung. Der 1964 geborene Kläger ist bei der Beklagten seit Juni 1991 als Maschinenführer tätig. In den Jahren 2006 bis 2011 war er jährlich zwischen 59 und 125 Tagen arbeitsunfähig. Die Fehlzeiten verteilten sich auf unterschiedlich lange Zeiträume, jeweils unterbrochen durch Tage der Arbeitsfähigkeit. Im Jahr 2004 stellte sich der Kläger auf Ersuchen der Beklagten beim arbeitsmedizinischen Dienst vor. Dieser stellte fest, dass gegen eine Beschäftigung des Klägers keine gesundheitlichen Bedenken bestünden. Im September 2010 teilte die Berufsgenossenschaft der Beklagten mit, sie habe den Kläger einseitig beschichtete Strickhandschuhe zur Verfügung gestellt, bei deren Verwendung sich arbeitsbedingte Kontaktallergien vermieden ließen. Mit Schreiben vom 29.11.2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 30.06.2012. Die Vorinstanzen gaben der Klage statt.
Entscheidung

Die Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg. Nach Auffassung des BAG ist die Kündigung unverhältnismäßig. Es handele sich um eine Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen, da eine Vielzahl von Krankheitsbildern unter häufig wechselnder Krankheits- und Arbeitsphasen vorlägen. Im Rahmen der dreistufigen Prüfung krankheitsbedingter Kündigungen lägen ausreichende Anhaltspunkte für eine negative Gesundheitsprognose vor, hierzu reichten die erheblichen Fehlzeiten in der Vergangenheit aus. Die zweite Stufe, d.h. die Beeinträchtigung betrieblicher Interessen, könne zugunsten der Beklagten unterstellt werden.
Die Interessenabwägung als dritte Stufe falle jedoch zu ihren Lasten aus. Die Beklagte habe das gesetzlich vorgesehene BEM unterlassen, ohne zugleich darzulegen, dass im Kündigungszeitpunkt kein milderes Mittel als die Kündigung existiert habe. Bei einem BEM nach § 84 II SGB IX handele es sich um einen rechtlich regulierten verlaufs- und ergebnisoffenen „Suchprozess“, der individuell angepasste Lösungen zur Vermeidung künftiger Arbeitsunfähigkeit ermitteln soll. Es sei Sache des Arbeitgebers, die Initiative zur Durchführung eines BEM zu ergreifen. Hierzu habe er den Arbeitnehmer nach § 84 II 3 SGB IX auf die Ziele des BEM sowie Art und Umfang der dabei erhobenen Daten hinzuweisen. Die durchgeführte betriebsärztliche Untersuchung stelle kein solches BEM dar. Es habe insoweit bereits an einer den gesetzlichen Anforderungen genügenden Unterrichtung und Belehrung gefehlt. Der Beklagten sei es auch nicht gelungen, die objektive Nutzlosigkeit eines BEM darzulegen. Insbesondere habe sie nicht dargetan, dass auch bei regelkonformer Durchführung eines BEM keine geeigneten Leistungen oder Hilfen für den Kläger hätten erkannt werden können, zu deren Erbringung die Rehabilitationsträger verpflichtet gewesen wären.
Praxishinweis

Das BAG setzt seine Rechtsprechung zur Bedeutung des BEM für krankheitsbedingte Kündigungen fort (BAG, NZA 2014, 602). Zwar betont das BAG erneut, dass die Durchführung eines BEM keine Wirksamkeitsvoraussetzung für eine krankheitsbedingte Kündigung sei. In der Praxis führt die Rechtsprechung des Senats jedoch zum Gegenteil: Die Darlegungsanforderungen an den Arbeitgeber sind bei unterlassenem BEM derart hoch, dass eine krankheitsbedingte Kündigung kaum jemals der gerichtliche Überprüfung standhalten wird. Dies gilt insbesondere für die Forderung des BAG im vorliegenden Urteil, der Arbeitgeber habe auch die Nutzlosigkeit von Hilfen oder Leistungen der Rehabilitationsträger darzutun.
Daher ist Arbeitgebern dringend zu empfehlen, keine krankheitsbedingte Kündigung ohne vorherige Durchführung eines BEM auszusprechen.
zitiert aus Beck-aktuell
Sandro Wulf
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht
für die Rechts- und Fachanwälte Wulf & Collegen
in Stendal und Magdeburg

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