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Sexuelle Belästigung ist und war gerade in den vergangenen Jahren immer wieder Thema kontroverser Diskussionen. Im Ergebnis geht es um die sexuelle Selbstbestimmung.
Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang, dass sich schon erheblich darüber gestritten wird, was überhaupt als „sexuelle Belästigung“ angesehen wird.
Bei einer repräsentativen Umfrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2015 hat ein nicht unerheblicher Teil der Befragten anzügliche Bemerkungen und unerwünschte Berührungen nicht als sexuelle Belästigung erachtet. Bei den Rechten und Pflichten im Fall einer sexuellen Belästigung ist es um den Wissensstand der Befragten noch schlechter gestellt. Nur 50 % der Befragten wussten, dass sie bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz ein Beschwerderecht gegenüber ihrem Arbeitgeber haben. Weniger als 20 % der Befragten ist bekannt, dass der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer vor sexueller Belästigung schützen muss.
Für zusätzliche Verwirrung musste schließlich das zuletzt veröffentlichte Urteil des BAG vom 20.11.2014 gesorgt haben.
Darauf wurde in den Medien oft die Schlagzeile formuliert:
„Ist einmal Grapschen erlaubt?“
Um das Urteil des Bundesarbeitsgericht zu verstehen, stelle ich dir eine spannende Frage, um sodann mit wenigen Sätzen die grobe geschichtliche Entwicklung im deutschen Arbeitsrecht darzustellen.
Weißt du, ab wann der Arbeitgeber erstmalig im Gesetz verpflichtet wurde, seine Arbeitnehmer vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz zu schützen?
Dies war erstmalig mit der Verabschiedung des Beschäftigtenschutzgesetzes 1994. Davor gab es keine gesetzliche Verpflichtung. Dies ergibt sich aus dem damaligen gesellschaftlichen Verständnis, wonach auch erst ab dem 01.07.1997 die Vergewaltigung in der Ehe zur Straftat gemacht wurde.
Die sexuelle Selbstbestimmung als Konkretisierung des allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Art. 2 i.V.m. dem Art. 1 des Grundgesetzes ist im allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) definiert.
Die Regelungen im Gesetz und die sich daran orientierenden Rechtsprechung und Urteile trennen ganz streng und stellen insoweit klar, dass nur sexuelle Belästigungen im Rahmen eines unselbständigen Beschäftigungsverhältnisses oder bei Anbahnung eines unselbständigen Beschäftigungsverhältnisses erfasst sind. Der notwendige Zusammenhang zum Beschäftigungsverhältnis ist unproblematisch gegeben, wenn die sexuelle Belästigung während der Arbeitszeit erfolgt. Sexuelle Belästigungen, die außerhalb der Arbeitszeit erfolgen, stehen nur dann in einem Zusammenhang zum Arbeitsverhältnis, wenn ein betrieblicher Bezug vorliegt, so z. B. bei Betriebs-, Weihnachts- und Ausstandsfeiern oder Dienstreisen. Private Treffen unter Arbeitnehmern fallen grundsätzlich nicht in den Anwendungsbereich.
Wie bereits ausgeführt ist der Arbeitgeber verpflichtet, seine Mitarbeiter vor sexueller Belästigung zu schützen, § 12 AGG. Verletzt der Arbeitgeber diese Pflicht und wird aus diesem Grund ein Mitarbeiter sexuell belästigt, so kann er, kommt es zu einer verbotenen Benachteiligung, auf Schadensersatz und Entschädigung nach § 15 AGG haften. Dies gilt auch dann, wenn die eigentliche Benachteiligung durch einen anderen Beschäftigten oder einen Dritten begangen wird.
Dem Arbeitgeber obliegt es hierbei, sowohl präventive Maßnahmen zum Schutze von Benachteiligungen hinsichtlich der gesamten Belegschaft durchzuführen, als auch repressive Einzelmaßnahmen im Falle eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot vorzunehmen.
Repressive Maßnahmen gegenüber Beschäftigten (§ 12 Abs. 3 AGG)
Verstoßen Beschäftigte gegen das Benachteiligungsverbot aus § 7 AGG, hat der Arbeitgeber die im Einzelfall erforderlichen verhältnismäßigen Mittel wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung zu ergreifen. Auch eine sexuelle Belästigung ist ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot. Sie stellt eine Arbeitsvertragsverletzung dar.
Sexuelle Belästigung als verhaltensbedingter Kündigungsgrund für eine ordentliche Kündigung.
Sexuelle Belästigung kann gem. § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund sein. Beispiele hierfür sind gerichtliche Entscheidungen wie ein Bewerbungsgespräch in der Sauna, wiederholte obszöne Angebote, Schlag gegen die weibliche Brust, Anfassen der weiblichen Brust und wiederholte Umarmungen und Berührungen.
Außerordentliche Kündigung
Schließlich kommt auch eine außerordentliche Kündigung wegen sexueller Belästigung in Betracht. Die bisherige Rechtsprechung hat dies unter anderem bei Anfassen an Po und Brüsten, bei fortgesetztem Erzählen sexueller Geschichten, bei obszönen Aufforderungen zu sexuellen Handlungen und bei Anfassen der Brust in Verbindung mit obszönen Bemerkungen bejaht.
Wieso ist das Urteil des „BAG-Grapscher-Urteil“ so besonders?
Im sog. „Grapscher-Urteil” hat das BAG allerdings einer Kündigungsschutzklage gegen eine außerordentliche Kündigung stattgegeben, obwohl die Voraussetzungen einer sexuellen Belästigung im Sinne von § 3 Abs. 4 AGG vorlagen.
Es hat die Kündigung für unwirksam erklärt.
Was war passiert:
Ein Mitarbeiter stand nach seiner Schicht allein unter der Dusche. Die anderen Kollegen waren bereits gegangen. Eine weitere Mitarbeiterin, die beauftragt war die Räume zu wischen und zu reinigen, kam während dessen sich der Mitarbeiter duschte mit diesem ins Gespräch. Die mit der Reinigung beauftragte Mitarbeiterin machte mit dem duschenden Mitarbeiter und späteren Kläger Späße. Im Laufe des Gesprächs mit dieser ihm bislang unbekannten Mitarbeiterin eines Dienstleisters äußerte der Kläger ihr gegenüber, dass sie einen schönen Busen habe und berührte ihn. Die Mitarbeiterin erklärte, dass sie das nicht wünsche, woraufhin der Kläger sofort von ihr abließ. Trotz eines Eingeständnisses, einer Entschuldigung und der Versicherung, dies nicht noch einmal zu tun, kündigte der Arbeitgeber dem Kläger das Arbeitsverhältnis außerordentlich mit sofortiger Wirkung.
Nach einem Entschuldigungsschreiben und der Herbeiführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs unter Zahlung von Schmerzensgeld erklärte das Opfer die Angelegenheit für erledigt.
Der Kläger erhob daraufhin Klage mit dem Vortrag, dass es zu einem „Blackout” gekommen sei und er gedacht habe, das Opfer habe mit ihm geflirtet.
Das ArbG Wuppertal wies die Klage ab, das LAG Düsseldorf gab ihr statt.
Somit musste das BAG über die Sache entscheiden.
Nach Ansicht des BAG war die Kündigung unverhältnismäßig. Es lägen keine Umstände vor, die die Annahme rechtfertigten, dass selbst nach einer Abmahnung von einer Wiederholungsgefahr auszugehen sei.
Zwar habe der Kläger das Opfer sowohl verbal als auch körperlich im Sinne von § 3 Abs. 4 AGG sexuell belästigt, weshalb der Kläger den Tatbestand einer sexuellen Belästigung objektiv erfüllte.
Die in Rede stehende Pflichtverletzung wiege aber nicht so schwer, dass eine Abmahnung entbehrlich gewesen wäre. Vielmehr handle es sich um eine einmalige Entgleisung und der Kläger habe keinen Belästigungswillen gehabt.
Das Gericht berücksichtigte dabei, dass sich der Kläger hinsichtlich der Unerwünschtheit des sexuell bestimmten Verhaltens geirrt hatte, da dieser von einem Flirt ausging.
Das LAG war davon überzeugt, durch eine Abmahnung werde eine Wiederholung im Sinne von § 12 Abs. 3 AGG ausgeschlossen.
Es hat diese Überzeugung darauf gestützt, dass es sich um den ersten Vorfall nach langjähriger, beanstandungsfreier Beschäftigung gehandelt und der Kläger sein Fehlverhalten ohne Zögern eingeräumt habe, obwohl er es möglicherweise erfolgreich hätte abstreiten können.
Aus seiner Erklärung im Personalgespräch, der Vorfall tue ihm furchtbar leid und er schäme sich dafür, hat es den Schluss gezogen, der Kläger sei über sein Verhalten ehrlich erschrocken gewesen. In diese Richtung wiesen auch das Entschuldigungsschreiben und die Herbeiführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs.
Im Rahmen einer Interessenabwägung wird insbesondere der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hervorgehoben.
Vorliegend haben LAG und BAG das künftige Verhalten des Arbeitnehmers berücksichtigt, welches schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Geeignet im Sinne der Verhältnismäßigkeit sind daher nur solche Maßnahmen, von denen der Arbeitgeber annehmen darf, dass sie die Benachteiligung für die Zukunft abstellen, das heißt eine Wiederholung ausschließen.
Durch die Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls kann auch nicht geschlussfolgert werden, grundsätzlich sei eine einmalige Belästigung „erlaubt”!
Die Entscheidung erkennt zwar an, dass eine außerordentliche Kündigung wegen sexueller Belästigung nicht immer ohne vorherige Abmahnung möglich ist. Aber einer Abmahnung bedarf es dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung – anders als im “Grapscher-Fall” – in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten ist, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich auch für den Arbeitnehmer erkennbar ausgeschlossen ist.
Nach den Schutzvorschriften des § 12 Abs. 3 AGG hat der Arbeitgeber weiterhin die Pflicht, seine Arbeitnehmer vor wiederholten sexuellen Beleidigungen wirksam zu schützen. Bei schwerwiegendem Fehlverhalten ist eine Kündigung daher auch weiterhin die angemessene Reaktion. Fehlen glaubhafte Anzeichen dafür, dass der Täter das Ausmaß seines Fehlverhaltens verstanden hat und er seine Übergriffe bereut, bleibt er auch in Zukunft anfällig für das gezeigte oder ein ähnliches Fehlverhalten.
V. Fazit
Aus der Entscheidung des BAG lässt sich nicht schließen, dass ein einmaliges Grapschen erlaubt ist.
Die Entscheidung konkretisiert vielmehr, wann eine außerordentliche Kündigung wegen sexueller Belästigung ohne vorherige einschlägige Abmahnung in Betracht kommt und wann nicht.
Dem Praktiker gibt es gewissermaßen einen Leitfaden an die Hand, mit dem er das Risiko des Unterliegens in einem möglichen Kündigungsrechtsstreit bzw. die Erfolgsaussichten besser beurteilen kann.
Sandro Wulf
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht