Wenn ein freigestelltes Betriebsratsmitglied sich während der Arbeitszeit mit Politikern, wie dem Bundesarbeitsminister und seinem Ministerpräsidenten, trifft, darf er dann gekündigt werden?
Diese Frage musste das Arbeitsgericht Verden mit Urteil vom 19.09.2023 beantworten.
Der Sachverhalt ist schnell erzählt.
Ein Amazon-Betriebsrat traf während der Arbeitszeit zwei Politiker. Über mehrere Stunden tauschten sie sich zu Themen im Arbeitsrecht als auch dem Datenschutz aus. Der Betriebsrat erfasste diese Zeit als abrechenbare Arbeitszeit und forderte die Erstattung der Reisekosten.
Amazon war über das Treffen mit den Politkern nicht informiert worden. Es sah darin einen Betrug um Arbeitszeit und Reisekosten und entließ das Betriebsratsmitglied im März 2023 fristlos.
Zu Recht?
Um den Sachverhalt rechtlich würdigen zu können, lass uns ein paar Grundlagen besprechen.
Ein Betriebsrat ist ein nach dem Betriebsverfassungsgesetz gewähltes Gremium. Er soll die Interessen der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber vertreten. Nach § 2 Abs. 1 BetrVG soll er jedoch auch und insbesondere vertrauensvoll mit dem Arbeitgeber zusammenarbeiten.
Der Betriebsrat führt sein Amt ehrenamtlich aus, so §37 Abs. 1 BetrVG. Grundsätzlich verbleibt es bei seinen Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis. Er darf wegen seines Amtes als Betriebsrat aber nicht schlechter gestellt werden.
In Betrieben ab 200 Mitarbeitern kann ein Betriebsratsmitglied, in der Regel der Vorsitzende, von der beruflichen Tätigkeit freigestellt. Das regelt der § 38 BetrVG. Hier ist eine Staffelung festgelegt, bei der je Anzahl der Arbeitnehmer die Anzahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder geregelt ist.
Bei unserem gekündigten Kläger handelt es sich um einen solchen freigestellten Betriebsrat.
Entgegen der Auffassung des Betriebsrats, der sich gegen die fristlose Kündigung mit einer Kündigungsschutzklage wehrte, bedeutet dies aber nicht, dass er nun nach Belieben tun und lassen kann was er will.
Der Betriebsrat hätte in diesem konkrete Fall, nach Auffassung des Arbeitsgerichts Verden, den Arbeitgeber Amazon darüber unterrichten müssen, dass er während der Arbeitszeit das Gespräch mit den Politikern suchte.
Dies erfolgte nach der Auffassung von Amazon nicht in Ausübung der Verpflichtungen als Arbeitnehmer oder Betriebsrat. Es war somit keine Arbeitszeit.
Indem der Kläger diese Zeit dennoch erfasst und zur Abrechnung gebracht hat und die Reisekosten begehrt, liegt ein Arbeitszeitbetrug vor. Das ist eine Straftat zu Lasten des Vermögens des Arbeitgebers und rechtfertigt eine fristlose Kündigung ohne Abmahnung.
Diese Entscheidung des Arbeitsgerichts Verden befindet sich in guter Gesellschaft mit der Entscheidung des Arbeitsgerichts Düsseldorf. Dieses hatte 2026 geurteilt:
- Ein freigestelltes Betriebsratsmitglied kann sich seine Arbeitszeit nicht frei einteilen, sondern ist an die im Betrieb üblichen Arbeitszeiten gebunden. Besucht er trotz fehlender Genehmigung seines Vorgesetzten eine zweitägige, gewerkschaftliche Schulungsveranstaltung, verletzt es damit seine arbeitsvertraglichen Pflichten. (amtlicher Leitsatz)
- Der Ausschluss eines Betriebsratsvorsitzenden aus dem Betriebsrat wegen grober Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten nach § 23 Abs. 1 Satz 1 BetrVG setzt voraus, dass die Arbeitgeberin nachweisen kann, dass der Betriebsratsvorsitzende bei den behaupteten Pflichtverstößen nicht nur gemäß § 26 Abs. 2 Satz 1 BetrVG den Betriebsrat im Rahmen seiner von ihm mehrheitlich gefassten Beschlüsse vertritt. (amtlicher Leitsatz)
Einen entsprechenden Beschluss gab es nicht, weswegen auch alle verbliebenen Betriebsratsmitglieder im Rahmen der Anhörung der Kündigung zustimmten.
Im Ergebnis wurde die Kündigung als berechtigt angesehen und die Kündigungsschutzklage abgewiesen. Amazon bekam Recht.
Gegen diese Entscheidung kann der Mitarbeiter noch die Berufung einlegen. Es bleibt abzuwarten, wie die zweite Instanz, das Landesarbeitsgericht, die Sache bewertet. Von besonderem Interesse wird auch sein, ob der Pflichtenverstoß so erheblich war und ob die Abmahnung entbehrlich war. Wäre das nicht der Fall würde in diesem besonderen Fall eine Umdeutung in eine ordentliche Kündigung nicht möglich sein. Die Kündigung wäre unwirksam.
Betriebsräte dürfen in ihrer Amtszeit und der Nachwirkungszeit grundsätzlich nicht fristgerecht gekündigt werden.
Das BetrVG sieht hier eine Art von Kündigungsschutz vor, die eine ausschließlich fristlose Kündigung und nur bei besonders schwerwiegenden Verhalten des Betriebsrates seine Ursache finden darf.
Die Podcastfolge zu dem Thema gibt’s hier: