Was auf dem Papier nach freier Mitarbeit aussieht, kann sich in der Realität als echtes Arbeitsverhältnis entpuppen. Das zeigt ein aktuelles Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 17. Dezember 2024 (Az. 9 AZR 26/24). Im Zentrum stand die Frage: Wann liegt tatsächlich ein Arbeitnehmerstatus vor – auch bei jahrzehntelanger Zusammenarbeit auf projektbezogener Basis?
Der Fall: Arbeitnehmerstatus trotz Honorarvertrag?
Ein Marketingberater arbeitete seit 1999 für einen öffentlich-rechtlichen Rundfunksender. Formal war er als externer Dienstleister tätig, regelmäßig beauftragt über Angebotspläne. Doch über die Jahre entstand daraus eine kontinuierliche Zusammenarbeit – ohne echte Unterbrechung.
Der Berater klagte auf Feststellung eines Arbeitsverhältnisses in Teilzeit – mit Erfolg in der Berufung. Das BAG kassierte jedoch das Urteil und verlangte eine umfassendere Prüfung.
Arbeitnehmerstatus hängt von der Realität ab – nicht vom Vertragstitel
Das Bundesarbeitsgericht machte deutlich: Entscheidend ist nicht, was im Vertrag steht, sondern wie die Zusammenarbeit tatsächlich gelebt wurde. Auch wer sich selbst als freier Mitarbeiter bezeichnet, kann in Wirklichkeit Arbeitnehmer sein – wenn die Kriterien des § 611a BGB erfüllt sind.
Zentrale Anhaltspunkte sind:
- Weisungsgebundenheit (wann, wo, wie gearbeitet wird)
- Eingliederung in die betriebliche Organisation
- Fehlende Freiheit bei Zeiteinteilung und Aufgabenumfang
Rechtliche Verklammerung: Arbeitnehmerstatus durch Dauer und Struktur
Trotz einzelner, formal getrennter Verträge kann durch eine kontinuierliche und auf Dauer angelegte Zusammenarbeit ein einheitliches Arbeitsverhältnis entstehen. Das BAG spricht hier von einer „rechtlichen Verklammerung“.
Hinweise wie ein fester Arbeitsplatz im Funkhaus, regelmäßige interne Meetings, IT-Zugriff und eine feste Telefonnummer sprachen im konkreten Fall deutlich für eine enge betriebliche Einbindung – und damit für einen Arbeitnehmerstatus.
Prüfung des Arbeitnehmerstatus: BAG verlangt Gesamtwürdigung über alle Jahre
Obwohl viele Indizien für ein Arbeitsverhältnis sprachen, reichte dem BAG die Bewertung durch das Landesarbeitsgericht nicht aus. Die Vorinstanz hatte sich zu sehr auf einzelne Abschnitte gestützt – ohne die Entwicklung über die gesamte Dauer zu berücksichtigen.
Das BAG forderte daher eine umfassende Analyse der Zusammenarbeit seit 1999 – einschließlich Änderungen der Aufgaben, Urlaubsregelungen und der tatsächlichen Ausgestaltung der Arbeitsbeziehung über die Jahre hinweg.
Frühere Selbsteinschätzung schützt nicht vor späterem Arbeitnehmerstatus
Der Kläger hatte sich früher selbst als „freier Mitarbeiter“ bezeichnet – etwa bei seiner Pensionskasse. Doch das BAG stellte klar: Diese frühere Einordnung steht einer späteren Feststellung eines Arbeitsverhältnisses nicht entgegen, wenn die tatsächlichen Umstände einen Arbeitnehmerstatus begründen.
Was bedeutet das BAG-Urteil für die Praxis? Arbeitnehmerstatus frühzeitig prüfen
Sowohl für Unternehmen als auch für langjährig beauftragte Externe lohnt sich der kritische Blick auf die Realität der Zusammenarbeit. Folgende Hinweise helfen:
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Vertrag und Wirklichkeit abgleichen: Stimmen Arbeitsort, Arbeitszeit und Aufgabenerfüllung mit dem vereinbarten Status überein?
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Langfristige Zusammenarbeit beobachten: Wer über Jahre hinweg mit festen Strukturen und Weisungen arbeitet, ist oft kein echter Freelancer mehr.
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Arbeitnehmerstatus vorbeugend prüfen lassen: Gerade bei öffentlich-rechtlichen oder strukturell stark eingebundenen Aufgaben droht sonst ein rechtliches Nachspiel.
Fazit: Arbeitnehmerstatus entsteht durch gelebte Praxis – nicht durch Etiketten
Das BAG stärkt mit seinem Urteil die Bedeutung der tatsächlichen Ausgestaltung von Arbeitsverhältnissen. Auch vermeintlich freie Mitarbeit kann zu einem echten Arbeitsverhältnis führen, wenn der Arbeitnehmer dauerhaft eingebunden ist und Weisungen unterliegt.
Unternehmen wie Auftragnehmer sollten regelmäßig ihre Vertragsbeziehungen auf arbeitsrechtliche Risiken prüfen. Wer auf Nummer sicher gehen will, sollte die Einbindung extern Tätiger sauber dokumentieren – und bei Unklarheiten fachlichen Rat einholen.
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