Aktuell wird in Deutschland zu einem so genannten Generalstreik ab dem 08.01.2024 aufgerufen. Im Zuge dieses Generalstreiks werden alle Parteien in Deutschland sowohl Arbeitgeber wie Arbeitnehmer und die Bürger Deutschlands aufgerufen, das öffentliche Leben lahm zu legen.
Der Aufruf wurde ursprünglich organisiert durch den Bauernverband, im Ergebnis der Änderungen des Gesetzgebers zur Versteuerung des Diesels, der für die landwirtschaftlichen Geräte benötigt wird als auch einer zusätzlichen Haftpflichtversicherung der landwirtschaftlichen Maschinen, welche im Straßenverkehr geführt werden könnten.
Dem schlossen sich weitere Parteien des gesellschaftlichen Lebens als auch mittelständische Interessenvertretungen an. In den sozialen Netzen wird auch durch private Organisationen und Privatpersonen zu einem solchen Generalstreik aufgerufen.
In den Kommentaren zu diesen Beiträgen kann sehr häufig gelesen werden, dass sich die Arbeitnehmer an diesen Streiks, oder besser gesagt Demonstrationen, beteiligen wollen.
In diesem Zusammenhang ergeben sich viele interessante Rechtsfragen. Insbesondere im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer hat die Beantwortung dieser Fragen und die sich daraus ergebenden rechtlichen Konsequenzen weitreichende Folgen. Zum Beispiel:
- Darf der Mitarbeiter in der Arbeitszeit der Arbeit eigenmächtig fern bleiben und an den Demonstrationen teilnehmen?
- Was ist, wenn der Mitarbeiter wegen der Demonstrationen nicht zur Arbeit kommt bzw. zu spät erscheint?
- Wie verhält es sich, wenn sich der Arbeitgeber an den Demonstrationen teilnimmt. Kann er den Mitarbeiter verpflichten zum Mitmachen?
- Kann der Arbeitgeber, wenn er die Demonstrationen ablehnt, die Teilnahme verbieten?
- Kann der Arbeitnehmer Urlaub fordern bzw. der Arbeitgeber Urlaub abziehen?
- Hat der Mitarbeiter Anspruch auf unbezahlte Freistellung?
Um all diese Fragen beantworten zu können, muss als erstes in den Arbeitsvertrag geschaut werden. Gibt es zu den beschriebenen Sachverhalten arbeitsvertragliche Regelungen beziehungsweise kommt ein Tarifvertrag zur Anwendung.
In den überwiegenden Arbeitsverträgen dürfte es zu den aufgeworfenen Fragen keine arbeitsvertragliche beziehungsweise tarifvertragliche Regelung geben.
Danach verbleibt es bei dem Blick in die Gesetze beziehungsweise Regelungen des Gesetzgebers.
Gibt es eine spezielle gesetzliche Regelung für einen Generalstreik oder die angekündigten Demonstrationen?
Das deutsche Recht zum Arbeitskampf leitete sich aus der Garantie der Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz) und dem Bekenntnis des Grundgesetzes zum sozialen Rechtsstaat her. Allerdings wird dieses verfassungsrechtlich garantierte Betätigungsrecht nur den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden zugesprochen.
Die dafür notwendigen bundesgesetzlichen Regelungen wurden in Deutschland jedoch zu keinem Zeitpunkt geschaffen.
Aus dem europäischen und internationalen Recht, insbesondere der Europäischen Sozialcharta könnte sich ein solcher Anspruch herleiten.
Nach Meinung des Sachverständigenausschusses, der das zuständige Organ für die Kontrolle der Einhaltung der Sozialcharta durch die Vertragsstaaten ist, verstößt das deutsche Arbeitskampfrecht mit seiner Begrenzung auf tariflich regelbare Ziele sowie das gewerkschaftliche Streitmonopol gegen die Sozialcharta. Das Ministerkomitee des Europarates erteilte bereits am 3. Februar 1998 der Bundesrepublik die „Empfehlung“, die Ergebnisse des Expertenausschusses zu berücksichtigen.
Diese Empfehlung ist aus der Sicht der Bundesrepublik für die Gesetzgebungsgremien nicht verbindlich, da sie die Auffassung vertritt, dass die europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und der Grundfreiheiten keine ausdrücklichen Regelungen des Arbeitskampfes beinhaltet. Die Regelungen seien nur vage Aussagen.
Dem steht entgegen, dass der europäische Rat eine Gemeinschaftscharta zu sozialen Grundrechten der Arbeitnehmer geschlossen hat. Danach sollen bei Interessenskonflikten kollektive Maßnahmen, einschließlich Streiks, vorbehaltlich einzelstaatlicher Regelungen, möglich sein.
Zu den geschützten Tätigkeiten gehört somit der Streik, der auf den Abschluss von Tarifverträgen gerichtet ist. Auch der verhältnismäßige Warnstreik und der gegen einen verbandsangehörigen Arbeitgeber gerichtete Streik zur Erzwingung eines Firmentarifvertrages wird geschützt. Nicht geschützt wird der so genannte wilde Streik, der nicht von einer Koalition im Sinne des Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz geführt wird sowie der politische Streik, der sich nicht gegen den Tarifpartner wendet, sondern staatliches Handeln erzwingen will.
Die Gerichte vertreten die Auffassung:
Ein Arbeitskampf, der sich nicht gegen eine Arbeitgeber oder Arbeitgeberverband richtet und auch kein Ziel verfolgt, das mit den Mitteln des kollektiven Arbeitsrechts regelbar wäre, sondern Gesetzgebung, Verwaltung oder Rechtsprechung zur Regelungen oder Entscheidungen zwingen will, sprengt nach überwiegend vertretenen Auffassung, den Rahmen des Zivilrechts. Die rechtsstaatliche Verfassung gewähre ein politisches Widerstandsrecht nur in den engen Grenzen des Art. 20 IV Grundgesetz. In diesem ist geregelt:
„(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“
Aus diesen skizzierten gesetzlichen Grenzen ergibt sich, dass ein Generalstreik als arbeitsrechtlicher, auf tarifliche Regelungen gerichteter Streik nur in Betracht kommt, wenn die Gewerkschaften entgegen der bisherigen Praxis, mit Tarifverträgen die Regelung einer Materie für alle Arbeitnehmer aller Wirtschaftszweige anstreben würde. Dies ist angesichts der branchenbezogenen Entwicklungen der tariflichen Arbeitsbedingungen als auch in der allgemeinen Entwicklung nicht zu erwarten. Darauf kommt es im Ergebnis auch nicht an, da ein Generalstreik in Form totaler Arbeitsniederlegung zur Erreichung der Tarifpolitik unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit als rechtswidrig angesehen werden würde.
Grundsätzlich ist der Streik zur Durchsetzung politischer Ziele (insbesondere wenn er gegen gesetzgebende Körperschaften gerichtet ist) nach der herrschenden rechtlichen Meinung unzulässig. Eine Zulässigkeit wird nur dann gesehen, wenn die verfassungsmäßige Ordnung bedroht wäre. Dies ergibt sich aus Art. 20 V Grundgesetz. Danach ist ein Generalstreik nur gerechtfertigt, wenn die verfassungsmäßig berufenden Organe die öffentliche Ordnung, bei Gefährdung durch Dritte, nicht aufrecht erhalten oder wiederherstellen können oder sich die verfassungsmäßig berufenden Organe selbst von der grundsätzlichen Ordnung abwenden.
Diese Auffassung bedeutet, dass wilde Streiks nicht zulässig sind und das erst Recht nicht, wenn sie sich gegen die Staatsgewalt selber wenden. Der Hintergrund ist klar. Er dient der Sicherung der staatlichen Ordnung.
Was aber wenn die gewählten staatlichen Vertreter nicht den Willen der Bürger vertreten, die diese Politiker in der demokratischen Mehrheit gewählt haben? Wenn sie gegen den Willen dieser Wähler reagieren? Wenn sie Maßnahmen beschließen, wie die Abschaltung der Atomkraftwerke, obwohl 3/4 der Bürger dagegen sind? Dann müssen die Bürger durch Demonstrationen ihrer Meinung Gehör verschaffen. Das Recht der freien Meinungsäußerung und das Demonstrationsrecht sind gleichfalls im Grundgesetz im Art. 5 und Art. 8 geschützt.
Die Rechtsfolgen rechtswidriger Streiks sind die, dass die Streikenden auf Unterlassung in Anspruch genommen werden können und zugleich sich Schadensersatzansprüchen aussetzen. In Europa sind lediglich in Deutschland und Dänemark solche politischen Streiks unzulässig.
Daraus ergeben sich weitreichende Konsequenzen im Zivil- und Arbeitsrecht. Ich beschränke mich auf die Folgen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
Grundsätzlich hat der Mitarbeiter einen Anspruch auf Vergütung nachdem er seine Arbeitsleistung eingebracht hat. Er ist also vorleistungspflichtig. Es gilt der Grundsatz: Ohne Arbeit kein Lohn.
Ausnahmen davon sind im BGB in den §§ 615 und 616 BGB geregelt. Diese Regelungen sind, wenn der Arbeitsvertrag bzw. Tarifvertrag keine Regelungen dazu aufweist, für die Beantwortung unserer Fragen von Bedeutung. Zu unterscheiden ist immer: Handelt es sich um das Betriebsrisiko oder das Wegerisiko?
Das Betriebsrisiko trägt grundsätzlich der Arbeitgeber. Bei Störungen in diesem Bereich muss der Arbeitgeber die Vergütung an den Mitarbeiter zahlen, auch wenn dieser seine Arbeitskraft nicht einbringen konnte.
Das Wegerisiko trägt der Mitarbeiter. Der Mitarbeiter muss grundsätzlich dafür Sorge tragen, dass er pünktlich zur Arbeit kommt. Vorhersehbares muss er berücksichtigen. Das gilt für Staus, bei schlechtem Wetter genauso wie bei Streiks. Kommt er deswegen zu spät oder gar nicht zur Arbeit, hat er keinen Anspruch auf Vergütung. Der Arbeitgeber kann unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit arbeitsrechtliche Sanktionen aussprechen bzw. mit arbeitsrechtlichen Maßnahmen reagieren. Welche verhältnismäßig sind, richtet sich immer nach dem Einzelfall.
Was heißt das für die von mir eingangs aufgeworfenen Fragen?
- Darf der Mitarbeiter in der Arbeitszeit der Arbeit eigenmächtig fern bleiben und an den Demonstrationen teilnehmen?
Nein, darf er nicht. Macht er das trotzdem kann der Arbeitgeber mit Abmahnung oder Kündigung reagieren.
- Was ist, wenn der Mitarbeiter wegen der Demonstrationen nicht zur Arbeit kommt bzw. zu spät erscheint?
Da mit Hindernissen, wie Straßensperrungen zu rechnen ist, muss sich der Mitarbeiter bei möglichen Beeinträchtigungen um Alternativen bemühen. So statt Auto mit der Bahn oder dem Fahrrad fahren, wenn dies zumutbar ist. Anfragen, ob Homeoffice geht. Urlaub oder Freistellung beantragen und vieles mehr.
- Wie verhält es sich, wenn sich der Arbeitgeber an den Demonstrationen teilnimmt. Kann er den Mitarbeiter zum Mitmachen verpflichten?
Nein! Das Weisungsrecht des Arbeitgebers beschränkt sich auf die vereinbarten Tätigkeiten nach dem Arbeitsvertrag. Eine Verpflichtung zur Teilnahme an einer Demonstration dürfte sich daraus nicht herleiten lassen.
- Kann der Arbeitgeber, wenn er die Demonstrationen ablehnt, die Teilnahme verbieten?
Ja und Nein! Das Weisungsrecht hat sein Ende, wo die Arbeitszeit und die Erbringung der Arbeitsleistung endet. Innerhalb der Arbeitszeit kann er die Teilnahme verbieten. Außerhalb der Arbeitszeit nicht. Ausnahmen gibt es bei Beamten und Angestellten im öffentlichen Dienst.
- Kann der Arbeitnehmer Urlaub fordern bzw. der Arbeitgeber Urlaub abziehen?
Nein! Einseitig kann dies weder der Arbeitnehmer oder Arbeitgeber in Anspruch nehmen. Hier gilt es sich zu verständigen. Allerdings darf der Arbeitgeber nicht den Urlaubsanspruch des Mitarbeiters nur bei berechtigten betrieblichen Gründen ablehnen. Liegen diese nicht vor, hat der Mitarbeiter einen Urlaubsanspruch.
- Hat der Mitarbeiter Anspruch auf unbezahlte Freistellung?
Einen Anspruch hat der Mitarbeiter aus den dargelegten rechtlichen Gründen grundsätzlich nicht. Allerdings könnte die unbezahlte Freistellung ein verhältnismäßiges Mittel sein, wenn es dem Mitarbeiter aufgrund der Beeinträchtigungen nicht möglich sein wird, die Arbeit aufzunehmen. Würde diese vorher beantragt werden und vom Arbeitgeber abgelehnt und sodann tritt der befürchtete Fall ein, dass der Mitarbeiter nicht zur Arbeit kommen kann, dann dürften sich die Sanktionsmöglichkeiten und arbeitsrechtlichen Möglichkeiten auf ein sehr geringes Maß reduzieren.
Wann und ob der § 616 BGB dem Mitarbeiter einen Ausweg bietet, wird der nächsten Folge erörtert. Bis dahin solltest du in deinem Arbeitsvertrag mal schauen, ob der § 616 BGB abbedungen wurde.
Wieso und welche Konsequenzen das hat, hörst du in der nächsten Podcastfolge deines arbeitsrechtlichen Podcast „Einfach Recht“.
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